Es ist Samstag. Samstag Abend. Die Uhr zeigt zwei Minuten nach halb Acht. In Zürich. Mitteleuropäischer Sommerzeit. Da fängt es schonmal an. Genau genommen ist es also zwei Minuten nach halb Sieben.
Auf der anderen Seite des Erdballs gähnt bereits der Morgen. Dort ist es Sonntag. Anderes Land. Anderer Tag. Andere Zeit.
Zeit, so selbstverständlich wie Zähneputzen oder Schokoladenweihnachtsmänner in den Regalen, im August. Wir haben uns daran gewöhnt. Wir hinterfragen nicht. Wir nicken. Im Gleichschritt. Im Takt der Uhr: Sommerzeit, Winterzeit, Brotzeit, Kurzzeit, Hochzeit, Lernzeit, Testzeit, Stoßzeit, Erntezeit, jederzeit, Weihnachtszeit, Probezeit, Steinzeit, Auszeit, Neuzeit... Zeit über Zeiten. Und die Uhr tickt. Jeden Tag ein bißchen lauter.
Kaum bist Du geboren, nagt der Zahn der Zeit an Dir. Dagegen erscheinen T-Rex-Beißerchen fast harmlos.
Rosige Babyhaut verwandelt sich im Sekundentakt in hartnäckige Runzeln, glänzende Mähne weichen blank polierten Glatzen und beim Essen kaust Du schließlich wieder auf der Felge. So wie früher, als Du noch unbeschwert und niedlich warst.
Wie ein Damoklesschwert tickt der Zeiger mal schrill und laut, mal verführerisch und leise. Jahr um Jahr verstreicht, deine Zeit radiert sich aus. Auf Nimmerwiedersehen. Rar wie Plutonium rinnt sie durch Sanduhr und durch Deine Finger, oft rennst Du ihr hinterher.
Manchmal heilt sie Wunden, ein guter Visagist ist sie dennoch nicht. Sie hat ein scharfes Auge, während Dein Blick immer trüber wird.
Und trotzdem ist sie relativ. Auf dem Zahnarztstuhl vergeht sie kaum. In den Armen Deines Geliebten vergeht sie wie im Flug. Oder sie bleibt stehen. Unberechenbar – wie wir sie eben kennen.
Die Zeit teilt alt und jung. Sie trennt den Sommer und den Winter. Die Mutter und das Kind. Du bist entweder zu spät oder zu früh. Pünktlich ist kaum möglich, nimmst Du`s pingelig genau. Seit Du sie kennst, eilst Du ihr voraus, oder Du wühlst in alten Zeiten.
Willst Du Glück? Den Klee von Zeit und Tag? Dann finde den Moment:
Wenn im Freudentaumel die Zeit stehen bleibt, wenn es aus Dir staunt und lacht. Wenn Tränen fließen, vor Freude und vor Lust. Wenn Du nicht satt und auch nicht müde wirst. Wenn Du den Hunger und den Durst vergisst. Wenn Deine Jahre von Dir fallen, wie welke Blätter vom Herbstahorn. Wenn Du ewige Jugend erlangst. Wenn der Tag wie im Flug vergeht und ein Tattoo hinterlässt, weil Du heute einfach glücklich warst, nur neugierig und völlig frei. Weil Du im Staunen und im Spiel den Moment gefunden hast – den Schatz aller Schätze – der in der kleinen Lücke liegt: zwischen Zukunft und Vergangenheit, in der kleinen Pause zwischen zwei Noten, in der Zäsur zwischen zwei Atemzügen, in der Stille zwischen zwei Gedanken: Glück. Dann hat die Illusion aller Zeiten ausgedient und Du fällst ins Paradies.
Schönen Sonntag,
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