Vor ein paar Tagen wurde ich tief berührt. Durch ein Gespräch mit einer neuen Klientin.
Offen, ehrlich, weise und selbstreflektiert bat sie mich um einen Impuls.
Es ginge ihr gut, sie hätte ein wunderbares Leben. Auch die Beziehung, die sie lebte, wäre toll. Es bliebe ihr nur eine Sehnsucht. Sie wüsste einfach nicht, was LIEBE ist.
Ich wurde still. Mit einem Schlag. Und glücklich-traurig. Plötzlich liefen mir Tränen übers Gesicht, ich kriegte Gänsehaut. Ich fühlte ein tiefes Verstehen und eine vertraute Energie, die eine ungeahnte Stille in mir schuf.
Ich nickte stumm, obwohl sie mich durchs Telefon nicht sehen konnte. Dann sagte ich. „Ich weiß auch nicht, was LIEBE ist. Ich bin hierher gekommen, um es herauszufinden“.
Es fällt mir nicht leicht, zu beschreiben, was in diesem Gespräch passierte. Ich fühlte mich verstanden, nahe, grenzenlos vertraut und verbunden mit einem mir unbekannten Menschen. Einfach durchs Telefon. Jetzt, da ich daran zurückdenke, habe ich wieder Gänsehaut. Am ganzen Körper. Und nicht nur dort. Auch außerhalb meines Körpers vibriert der Moment.
Könnte das Liebe sein?
Früher glaubte ich, die Liebe wäre die Sehnsucht, die mich zu einem ganz bestimmten Menschen zieht. Ich glaubte, sie sei das Begehren, die Lust und die Bedürftigkeit, die mich den anderen sehen und irgendwie besitzen lassen will. Ich glaubte, um zu lieben, braucht es zwangsläufig einen anderen Menschen. Nur, um dann zuzusehen, wie die Liebe in einer Beziehung langsam stirbt. Früher glaubte ich, „wahre“ Liebe führt immer in eine Beziehung.
Doch was ist WAHRE LIEBE?
Was meinen Wir, wenn wir "Ich liebe dich" sagen?
Wie vermessen bin ich eigentlich, mir anzumaßen, meinen Klienten den Weg vom (Liebes-)Kummer in die Liebe zu weisen, wenn ich mir gar nicht sicher bin, WAS LIEBE IST? Doch WIE kann ich jemals sicher sein? Kann man etwas Unbeschreibliches beschreiben?
WAS IST LIEBE und wie zeigt sie sich?
Ich habe mir diese Frage in den letzten beiden Jahren immer und immer wieder gestellt.
Ich habe sie vielen, sehr vielen meiner Klienten gestellt.
Stelle die Frage heute jedem Menschen, mit dem du sprichst: "WAs ist Für dich Liebe?"
Nachdem ich meine Frage jeweils ausgesprochen hatte, herrschte gewöhnlich betretenes Schweigen. Auch bei Selbstgesprächen mit mir selbst.
Kaum jemand hatte spontan eine klare, plausible Antwort auf meine Frage.
Das stimmte mich nachdenklich.
Wissen wir denn nicht, was es bedeutet, jemanden zu lieben?
Wieso sagen wir dennoch so schnell „ICH LIEBE DICH!“?
Haben wir eine Ahnung, was es bedeuten würde, einen anderen zu lieben?
Sagen wir es, wie ein einstudiertes Mantra, damit es uns der andere sagt? Damit er es wiederholt, wie ein Echo, wie ein Papagei? Als Versicherung, als Beweis? Damit wir weiterschlafen und träumen können, in unserer Trance der Selbstverleugnung?
Denn nun, da mich ein anderer liebt, muss ich richtig sein.
Doch wie kann ich wissen, was mein Gegenüber meint, wenn ihm „ICH LIEBE DICH!“ über die Lippen kommt?
Wie kann ich es wissen, wenn ich selbst nicht weiß, was diese Worte bedeuten? Lässt sich etwas so Mächtiges überhaupt in Worte fassen? Pressen wir damit die Liebe nicht in eine Form, in die sie sich niemals zwängen lässt?
Ist die Liebe, die wir Menschen meinen, vielleicht wie ein kleines Puzzleteil? Bleibt uns das große, ganze Puzzle für immer verborgen? Weil wir es erklären möchten? Weil wir einen anderen Menschen mit Erwartungen belegen, die wir uns selbst noch nicht erfüllen?
"Ich liebe Dich!" kann viel bedeuten:
- Ich habe solch starke Emotionen.
- Bitte halte mich fest, ich fühle mich ohne dich allein.
- Ich habe Lust, mit dir zu schlafen.
- Ich glaube, dass es nach dir keinen Menschen gibt, den ich lieben kann.
- Ich töte dich, dann bist du für immer mein.
- Ich will nicht alleine sein.
- Meine Hormone spielen verrückt.
- Ab jetzt gehörst du nur mir allein.
- Ich hasse deine Frau, sie muss weg.
- Ab sofort ist der Sex zwischen uns exklusiv.
- Ich will, dass wir uns versöhnen.
- Bitte komm zurück zu mir.
- Ich bestehe darauf, dass du meine Miete und meine Urlaube bezahlst.
- Du musst mir treu sein.
- Ich will eine Familie mit dir gründen.
- Ich möchte, dass du mich umsorgst.
- Das Essen war der Hammer.
- Ich habe solche starke Sehnsucht nach dir.
- Erst jetzt erkenne ich, wie wichtig du für mich bist.
- Es tut mir leid.
- Bitte heirate mich, ich habe Angst, übrig zu bleiben.
- Du bist der perfekte Mann / die perfekte Frau fürs Kinderkriegen.
- Ich hatte noch nie in meinem Leben solchen guten Sex.
Wäre es nicht besser, wenn wir sagen würden: „ICH GLAUBE, ICH LIEBE DICH?“
Seitdem ich mich frage, was Liebe für mich bedeutet, beobachte ich die Menschen um mich herum genauer. Jeder glaubt, einen anderen zu lieben. Und jeder hat die tiefe Sehnsucht, nach dieser eigentümlichen Verbundenheit, die die Liebe mit sich bringt.
Jeder Mensch tut immer alles nur aus reiner Liebe. So brutal die Handlung auch sein mag. Er tut es aus Liebe zu sich selbst (Selbstliebe), die er noch nicht besser kennt.
Wenn ich nicht weiß, was Liebe ist, wie kann ich dann wissen, was Liebe für einen anderen Menschen ist?
Das Liebes-Experiment: Was bedeutet für dich liebe?
Ich lade dich auf ein kleines Experiment ein.
Frage die drei wichtigsten Menschen in deinem Leben in der kommenden Woche, was für sie Liebe ist. Vielleicht notierst du es, wie ein Diktat, damit du dich später daran erinnern kannst. Frage deine Lieblingsmenschen und lausche ihren Worten. Diskutiere erstmal nicht darüber. Höre einfach nur zu und frage nach.
WAS BEDEUTET FÜR DICH LIEBE?
Bleib dabei und lausche, auch wenn Stille herrscht. Lausche hinein in die Stille, lausche der Stille in dir selbst. Sagt dein Gegenüber etwas, dann schreib es auf.
Am Ende der Woche wirst du mit Sicherheit drei ziemlich unterschiedliche Definitionen für Liebe haben. Keine ist richtig. Keine ist falsch. Jede ist unvollständig.
"Viel-leicht ist Liebe die Essenz des Lebens, die alles erschafft, zerstört, erschafft, zerstört. Das Ein- und Ausatmen des Universums."
Margret Marincolo
Das Erschaffene, das mögen wir. Doch das, was zerfällt, das bedauern wir nur allzu oft. Doch wenn Liebe alles ist – und davon gehe ich persönlich aus – wie kann sie sich dann an eine Form binden? Ist sie nicht jede Form, in die sie schlüpft und bleibt gleichzeitig formlos?
Wenn wir uns also nur auf eine ganz bestimmte Form der Liebe konzentrieren, lieben wir dann die Liebe an sich? Oder lieben wir nur die Art und Weise, auf die sie sich gerade zu erkennen gibt?
Das ist menschliche "Liebe".
Ich liebe dich, wenn du soundso bist. Wenn du anders bist, liebe ich dich nicht.
Und so verbiegen wir uns immer noch, um Liebe zu erfahren. Viel später stellen wir dann fest, dass wir uns selbst für ein Trugbild aufgegeben haben.
"Margrets These: Menschliche Liebe ist VORLIEBE für eine ganz bestimmte Form."
Margret Marincolo
- „Ich liebe dich, doch einen anderen liebe ich nicht, wie dich.“
- „Ich liebe Schwarzwälder Kirschtorte, aber Bienenstich, den liebe ich nicht.“
- „Ich liebe meine Kinder, doch die schreienden Nachbarskinder finde ich einfach nur doof.“
Können wir lieben, wenn wir uns entscheiden müssen?
Können wir lieben, wenn wir trennen?
Wir zerpflücken das das heilige Puzzle der Liebe. Wir suchen die Rosinen – UNSERE ROSINEN – und lassen den großen, wundersamen Rest zurück.
Ich glaube, um Liebe zu erfahren, (er-)lösen wir uns mehr und mehr von der Verhaftung an eine ganz bestimmte Form.
Wir wählen eine Form. Wir genießen diese Form, solange sie bestehen bleibt. Wenn sie sich auflöst und zerfällt, bleibt reine Liebe übrig. Mehr Liebe. Das Meer der Liebe.
Schönen Sonntag,
Deine Margret
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Sieglinde (Sonntag, 21 Juli 2019)
Liebe Margret,.ich war immer traurig,dass nie in meinem Leben jemand zu mir sagte ich liebe dich" doch ich habe nun verstanden und dank Monika und Thomas in Herrschi g hat sich alles in mir selbst verändert.Dein Text ist wunderbar..liebe Grüße von Sieglinde
Miriam (Montag, 22 Juli 2019 11:41)
...ich kenne dieses Gefühl, das du gegenüber der dir fremden Frau beschreibst.
Ja, ich glaube, dass dieses Gefühl LIEBE ist. Oft nur einen Moment lang, aber erfüllender als alles andere, was wir oft als Liebe definieren.
Ich hatte dieses Gefühl unter anderem, als ich deine Videobotschaft auf der Blumenwiese angeschaut habe. Der plötzlich auftauchende Schmetterling, der nicht mehr von deiner Seite wich... da hat es mir Tränen in die Augen getrieben. Dieser Moment war voller Liebe und ich durfte dabei sein und mitfühlen.
Liebe Grüße von Miriam
Maria (Montag, 22 Juli 2019 13:53)
Hallo Margret
Ich kann dir nicht sagen was Liebe bedeutet oder wie sich das anfühlt wenn man " Ich liebe dich" sagt.
Früher dachte ich das ich es weiß, doch jetzt ist es anders.
Das einzige was ich weiß wenn ich meine Kinder ansehe das ich das das Liebe ist.
Herzlich Maria